25 Sep Motivation nach Verletzungen
„Was ohne Ruhepausen geschieht, ist nicht von Dauer.“
Dieses Zitat von Ovid ist meiner Meinung nach ein guter Einstieg für einen Beitrag über das Thema Verletzung. In meiner 20-jährigen Karriere, war ich in den letzten vier Jahren häufig verletzt. Aber wie kam es dazu? Was hat mich immer wieder motiviert weiter zu machen? Und hätte es Möglichkeiten gegeben, den Verletzungen vorzubeugen?
Wie Überanstrengung zu meiner ersten Verletzung führte.
Meine erste große Verletzung hatte ich zu Beginn des Jahres 2006. Das Jahr 2005 war zu diesem Zeitpunkt das bisher beste Jahr meiner noch sehr jungen Karriere gewesen. In diesem Jahr hatte ich über 35 Wettkämpfe absolviert und zum Ende des Jahres stand noch ein Bundeswehrlehrgang unter schwierigen Bedingungen an: hartes Training, zu wenig Schlaf. Außerdem standen noch die Cross-Europameisterschaften auf dem Plan.
Während des Lehrgangs merkte ich zunehmend, dass ich gereizter wurde und mit dem Gedanken kämpfte, das alles nicht mehr zu schaffen. Ein klares Zeichen von Übertraining war, dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Mein Bundestrainer riet mir zwei Tage vor der EM sogar davon ab, überhaupt zu starten. Ich hörte nicht auf ihn, weil ich wusste, dass ich etwas auf dem Kasten habe und fuhr dennoch ins niederländische Tilburg. Jeder – inklusive mir selbst – erwartete, dass ich nicht gut abschneiden würde. Ich schlief das ganze Wochenende bis zum Wettkampf und siehe da, ich konnte mit der Spitze mithalten und wurde überraschend Vize-Europameisterin. Meine erste Medaille bei den Aktiven! Ich freute mich riesig und meine Entscheidung hatte sich ausgezahlt.
Im Anschluss ging es direkt zurück zum Bundeswehr-Lehrgang. Ende des Jahres gewann ich auch noch den immer gut besetzten Silvesterlauf in Trier und im Anschluss ging es direkt ins Trainingslager. Und dort passierte es dann: Bereits am zweiten Tag stach es mir in den Rücken und auch der linke Oberschenkel schmerzte bei jedem Schritt. Nichts ging mehr. Es dauerte lange, bis man die Ursache fand: Ich hatte nicht nur einen Gleitwirbel, sondern auch einen Ermüdungsbruch am Trochanter minor.
Es folgte meine erste längere Zwangspause. Nach einem so anstrengenden Jahr, war das fast verständlich. Damals sahen diese Pausen noch etwas anders aus: Ich machte keinen Sport und legte mich lediglich dreimal pro Tag in eine Magnetfeldspule. Ich hätte an den Ursachen arbeiten können, das wäre vielleicht besser gewesen. Aber ich war damals noch so jugendlich unbekümmert und ich wusste: Wenn ich wieder mit dem Training anfange, komme ich schnell wieder in eine gute Form. Das klappte auch: Ich wurde 2006 bei den Europameisterschaften in Göteborg Achte über 10000 m und Sechste auf der 5000 m-Distanz.
Fehlende Regeneration und die Konsequenzen.
Bereits mit Anfang 20 hatte mir ein Physiotherapeut der Nationalmannschaft gesagt, dass ich unbedingt etwas für meine Beckenstabilität tun müsse, da ich ansonsten im späteren Athletenalter riesige Probleme bekommen würde. Er sollte recht behalten. Ich bekam schon sehr früh und über die Zeit immer dicker werdende Einlagen. Von Fußstabilität und BLACKROLL® wusste man damals noch nichts. Also lief ich und lief immer weiter, ging hin und wieder zur Physiotherapie und kümmerte mich sonst um nichts. Ich lief allein mit meiner Energie und meinem Talent und das erfolgreich. Das Tun und Nichtstun fernab der Laufstrecke musste nie in Frage gestellt werden.
Bis 2012 gab es keinen Zwischenfall. Ich kletterte auf der Erfolgsleiter nach oben und wenn es mal nicht so gut lief, kämpfte und trainierte ich noch mehr. 2011 wollte ich unbedingt meine Marathon-PB unter 2:26 h/min schrauben und lief zwei Wochen vorher das Training meines Lebens und hatte diesmal in der Vorbereitung so viele Kilometer wie noch nie gemacht. Beim Marathon in Frankfurt verließen mich plötzlich und unerwartet bei Kilometer 35 die Kräfte und ich quälte mich nur noch ins Ziel. Ich weinte, obwohl ich mit 2:28:08 die Marathon-Olympianorm geschafft hatte. Heute halte ich das für total bescheuert.
Zum Jahreswechsel 2011/2012 ereilte mich als Konsequenz meines Trainingsstils ein Ermüdungsbruch am linken Fuß. Ich stieg auch hier wieder viel zu früh und eigentlich noch körperlich übermüdet ins Training ein, da ich bei der Cross-EM in der Mannschaft starten wollte. Wir holten zwar eine Bronze-Medaille, aber ich rannte deutlich unter meinem Leistungsvermögen. Die Antwort meines Körpers war erneut: Verletzung. Er ließ sich einfach immer weniger überlisten. Also wieder in die Reha. Mit Ehrgeiz schaffte ich es trotzdem zu meinen dritten olympischen Spielen in London, wenn auch nicht ganz in Topform. 2013 lief ich meinen letzten erfolgreichen Marathon in New York, wo ich Siebte wurde.
Ab 2014, auf dem Weg zu den vierten olympischen Spielen, wurde es dann immer steiniger. Der innere Druck stieg , ich trainierte immer mehr, obwohl ich ja schon etwas älter war und die Regenerationsfähigkeit deutlich nachließ. Die jüngeren Sportjahrgänge kamen nach und auch der äußere Druck stieg. Schmerzen im Sprunggelenk ließen einen Zieleinlauf beim Marathon der EM in Zürich nicht mehr zu. Da auch längeres Pausieren bei diesen Schmerzen nicht half, entschied ich mich im Mai 2015 zu einer OP am rechten Sprunggelenk. Danach ging es zwar wieder in Reha und mittlerweile wurde auch fachkundig behandelt, aber ich stand viel zu früh wieder an der Startlinie, nach bereits sieben Wochen. Ich musste mich immer erst Einhumpeln, bis aus Humpeln ein normaler Laufschritt wurde. Mit meinem heutigen Wissenstand kann ich sagen: fatal. Mein Körper kompensierte das für eine Zeit, aber die Leistung kam nicht mehr so schnell zurück. Verständlich, denn ich hatte dem Sprunggelenk nicht genug Zeit gegeben. Man hätte die Beweglichkeit wieder herstellen müssen. Auch heute läuft es noch nicht ganz rund.
Die nächsten Verletzungen sollten folgen: Ende 2015 brach mir durch einen winzigen Fehltritt der Fuß. Wieder sieben Wochen Pause. Jetzt wurde es auch eng mit Olympia in Rio. Ich zwang mich regelrecht wieder fit zu werden, was auch wieder gelang, aber beim wichtigsten Qualifikations-Wettkampf startete ich zu schnell und musste entkräftet aussteigen. Danach war ich so enttäuscht, wie nie zuvor in meinem Leben, aber nicht über den Ausstieg sondern von mir selbst. Zwei Tage gab ich mich der Enttäuschung hin, bevor es weiter ging. Eine Chance hatte ich noch, also ab ins Trainingslager nach Sankt Moritz.
Ich war psychisch und physisch total müde und ausgelaugt und hätte dringend eine Pause machen müssen, aber ich hatte ja keine Zeit dafür. Nach ungefähr drei Tagen bekam ich von Tag zu Tag immer stärker werdende Schmerzen in meinem Becken. Bei der Abschlusseinheit konnte ich mich dann noch nicht einmal mehr Auslaufen. Und wieder ging nichts ging mehr. Als ich in Deutschland die Diagnose bekam, dass ich einen Ermüdungsbruch am Os ilium hatte, konnte ich gar nicht mehr richtig traurig sein. Im Gegenteil: Ich war fast erleichtert. Mein Körper war ausgelaugt und ich machte zum ersten Mal in meinem Leben einen Urlaub ganz ohne Laufen. Es war schön und ich gab mir drei Monate um zu Regenerieren.
Was gab mir die Kraft mich zurück zu kämpfen?
Als Teil des Nationalteams und gefördert von der Bundeswehr war der Druck erstmal groß genug, um sich nicht mehr um Motivation bemühen zu müssen. Wenn die Leistung nämlich nicht stimmt, ist auch mit der Förderung Schluss. In der Vergangenheit würde ich das als meine hauptsächliche Motivation ansehen. Ich hatte ja das geschafft, wovon viele träumen: mein Hobby zum Beruf zu machen. Dafür hatte ich viel Leistung gegeben und musste sie auch weiterhin geben.
Den Teil meiner Motivation, der mich von innen befeuert, verstehen sicherlich alle begeisterten Läufer: Wenn du durch den Wald läufst, deinen Atmen hören kannst, nicht zu schnell, sondern locker, du jeden deiner Schritte hörst und eins mit dir bist, mit der Natur, mit der Stille: das ist ein unglaublich tolles Gefühl. Es gibt dir ganz viel Energie zurück. Noch besser ist das Gefühl, wenn du läufst, aber gar nicht spürst, dass du läufst. Deine Bewegung ist ein Automatismus geworden. Herrlich!
Auch der Moment, wenn du merkst, es geht viel leichter und schneller als noch vor einem Monat, weil du fleißig warst und dein Körper sich der Belastung angepasst hat und dir deinen Fleiß mit mehr Leichtigkeit dankt. Dieses Gefühl, dass du mit kontinuierlicher Arbeit besser wirst, macht dich stolz auf deine Leistung.
Auch der Augenblick an der Startlinie, die Anspannung, die du spürst, das Adrenalin! Dann – endlich – kommt der Startschuss und es gibt kein Halten mehr. Nach den ersten Metern spürst du, ob es ein guter Tag ist. Wenn es dein Tag ist, und du die anderen locker hinter dir lässt: geil. Ins Ziel zu kommen, egal ob du einen guten oder schlechtenTag erwischt hast: ein Gefühl, das mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist.
In meinen persönlichen Erinnerungen ist es Olympia: Dieser Moment in Peking im Vogelnest, als ich eine nach der anderen Läuferin einsammeln konnte und mit Bestzeit als Elfte ins Ziel kam. Oder der New-York-Marathon, den ich als Siebte in einem Weltklassefeld beenden konnte. Ich hatte die ganze Zeit Gänsehaut, weil uns die Zuschauer so lauthals angefeuert haben. Das sind Momente, die sich in meinen Kopf eingebrannt haben. Diese Momente habe ich immer wieder als Motivation vor Augen. Sie lassen mir die Durststrecken leichter vorkommen.
Was habe ich aus meinen Verletzungen gelernt?
Seit einem Jahr habe ich jetzt einen Personal-Coach und wir arbeiten an meinen Baustellen. Er meinte, dass man bei mir immer Feuerlöscher spielen müsse. Kaum funktioniert das eine, ziept es wieder woanders. Heute stresst mich das aber nicht mehr, weil ich viel früher sage: „Dann mache ich halt eine Pause“. Manchmal überlege ich: was wäre, wenn ich schon viel früher richtig an meinem Core, der Beckenstabilität, der Pomuskulatur und der Sprungkraft gearbeitet hätte? Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Man kann es nur besser machen und seine Erfahrungen weitergeben.
Das Wort „Ermüdungsbruch“ als Warnung.
Wenn ihr nicht die gleichen Fehler machen wollt wie ich, arbeitet an eurem Rumpf, trainiert vielseitig, dehnt, rollt und vor allem: vergleicht euch nicht mit anderen und hört auf die Signale eures Körpers! Ohne eine ehrliche Analyse und eine Veränderung der Routine, kann man die Tage bis zur nächsten Verletzung zählen. Ich freue mich sogar mitterweile manchmal über die ungeplanten Auszeiten und ehrlichen Signale meines Körpers. Sie holen mich aus meiner wohl nicht optimalen Routine und ich kann eine Richtung einschlagen, die mich leichter an mein Ziel bringt. Also: hadert nicht, wenn ihr verletzt seid. Kurze Analyse, neuen Fahrplan machen und an Schwachstellen arbeiten. Wer schnell wieder anfängt postiv zu denken, der erholt sich auch schneller. Sich mit Jammern aufzuhalten, bringt für die Zukunft nichts.
In diesem Sinne
Eure Mocki